Blue Flower

WE DON'T TALK ANYMORE - DER NACHRUF AUF EINEN MANN, DER IMMER JUNG BLIEB

von Frank Jöricke (KATZ 2001)

 

eric jung

Der Junge auf dem Foto blickt mit wachen Augen in die Welt. In wenigen Jahren schon wird ihm das Deckhaar ausgefallen sein. Er wird die fiesen Seiten des Nachtlebens kennen gelernt und erfahren haben, dass auch die Helligkeit des Tages keinen Schutz bietet. Am Ende seines Lebens wird er alles verloren haben, was ihm etwas bedeutet. Und er wird immer noch mit wachen Augen in die Welt blicken. Denn er hat schon jetzt, im Alter von zehn, begriffen, dass diese Welt nicht auf ihn gewartet hat. Wird er's ihr halt zeigen müssen.


Erich Theodor Baader wird im Kriegswinter 44 geboren. Am 28. Dezember, dem Tag der unschuldigen Kinder. Der kleine Erich ist das Ergebnis einer unstandesgemaßen Verbindung. Sein Vater entstammt einer katholischen frankfurter Patrizierfamilie, die unter anderem einen Linguistikprofessor hervorgebracht hat. dessen Werke noch heute in den Universitätsbibliotheken zu finden sind. Die Mutter ist ein gesellschaftliches Nichts - und noch dazu evangelisch. Was Vater Baader nicht stört. Nur sind die braunen Flecken auf seiner weißen Weste dann doch die Spur zu auffällig. Mit Kriegsende verliert sich seine Fährte irgendwo in Südamerika. Ist Papi halt nicht da.

Und Mutti bald auch nicht mehr. Die unstandesgemäße Frau reicht, gedrängt von der Familie ihres Gatten, das Kind an die Großeltern weiter, und die geben es ins Internat nach Papenburg. Das liegt am Ende der Welt, in Ostfriesland. Und wer glaubt, dass die Geschichte bis hierhin ziemlich trostlos ist, der kennt noch nicht die Krankenakte. Der kleine Erich muss jede Nacht seiner Kindheit in einem Gipsbett zubringen. Doch das ist noch nicht einmal das Schlimmste. Wenn in Gedichten vom Duft der Blumen die Rede ist oder seine Mitschüler von Süßigkeiten schwärmen, dann muss Erich passen. Kein Geruchssinn, keine Geschmackssinn. Trainiert er halt die Ohren.


Sein Freund in jenen einsamen Internatsstunden - „ich fing an Musik zu hören, weil ich zu sehr alleine war" - heißt Harry Webb, besser bekannt als Cliff Richard. Ein Mann des Übergangs. Held einer Zeit, die das Alte, Traditionelle schon nicht mehr so recht mochte, doch der der Mut für das Neue. Radikale noch fehlte. Was sich in Cliffs Lebenslauf widerspiegelt: ein braver Büroangestellter, der in seiner Freizeit Little Richard nachspielt. Irgendwann ist das Hobby dann stärker als der Schreibtischjob. Die Schallplatten ersetzen die Akten. Oder die Buchdeckel. Denn auch Erich Theodor Baader ist viel zu bürgerlich, sich nach der Schulzeit, die er mit reichlich Gewürge hinter sich gebracht hat, in ein Rock'n'Roll-Leben zu stürzen. Er macht eine Lehre als Buchbinder, die seiner Hang zur Millimetergenauigkeit - „Pedanterie" klänge zu abwertend - entgegenkommt, ohne ihn wirklich zu befriedigen. Und dann geschieht etwas, das alle Planungen über den Haufen wirft. In einem Alter, in dem der körperliche Verfall sich allenfalls im Haaransatz zeigt, erleidet Erich eine Gesichtslähmung. Die Symptome bilden sich zurück. Doch die Ahnung, eine kürzere Lebensspanne zu haben als die meisten seiner Mitmenschen, lässt ihn aktiv werden. Aus dem Buchbinder Erich Theodor Baader wird der Diskjockey und Stadionsprecher Eric Baader. Und auf einen wie ihn hat Frankfurt nur gewartet. Eine Schnodderschnauze, die das ausspricht, was andre nicht einmal zu denken wagen. Bald schon hat er seine Grenzen das erste Mal überschritten. Beim Hassduell Frankfurt gegen Bayern begrüßt er, zur Verzückung der Eintracht-Anhänger, „den Gast aus München mit einem donnernden Zick, Zack ...". und der Fanblock vollendet endreimsicher „Zigeunerpack". Ein Eklat mit Ansage. Womit die Karriere als Stadionsprecher beendet ist. Konzentriert er sich halt auf die Disko.


eric baader foto 01Die ist Ende der 6oer das neue große Ding. Und wie alle neuen Sachen muss sie der ungläubigen Masse erklärt werden. Die Diskjockeys jener Tage sind Missionare des Nachtlebens; professionelle Dampfplauderer, die dem auf Standardtanz getrimmten Publikum die aufregenden Rhythmen aus England und Amerika näher bringen und es irgendwie schaffen müssen, den Spagat zwischen james Brown und Chris Roberts, zwischen Beat und Foxtrott hinzukriegen. „Irgendwie" heißt bei Eric Baader: Er erzählt Geschichten; kleine Anekdoten, die die Zuhörer auf den Geheimtipp von der Insel einstimmen sollen. Wenn das nicht hilft, wird schwereres Geschütz aufgefahren. Der beherzte Griff in die Zotenkiste macht die Zuhörer locker und den DJ zum Star. Baaders Moderationskünste, eine Mischung aus Chuzpe, Charme und Chauvinismus, treffen den Nerv einer Zeit, in der die alten Zöpfe abgeschnitten, doch die neuen noch nicht nachgewachsen sind. Diskos sind damals der Ort, an dem man sich darauf verständigt, dass es schön ist auf der Welt zu sein, aber schöner auf der Tanzdiele und am schönsten auf der Matratze. Doch auch wenn manche Frau ihn, den Conferencier mit der sonoren Stimme, offen anhimmelt - Baader ist kein Mann für eine Nacht. Seine Prinzipienfestigkeit - „Sturheit" klänge zu abwertend - geht so weit, dass er, Frankfurter aus Überzeugung, einer Dame den Laufpass gibt, nachdem sie ihm gesteht, dass sie aus Offenbach kommt. Frauen aus Trier gehen in Ordnung. Und in eine verliebt er sich dann prompt. Sein DJ-Vagabundenleben. 86 Diskos in fünf Jahren, von Obersdorf bis Münster, hat damit ein Ende. Baader wird in Trier sesshaft. Und räumt ab. Das Natascha am Stockplatz, das Castel in Bitburg, das Queen's Pub in Hermeskeil - Stationen eines Triumphzugs, der sich Nacht für Nacht wiederholt und scheinbar nie ein Ende finden will. Wenn im Queen's Pub die Diskokugel stoppt, geht wenige Kilometer weiter der Groove in die Verlängerung. In einer Ferienwohnung in Kell am See gibt Baader, hellwach und colanüchtern, rauschende Zugaben. Der Kreis ist klein, der hier frühmorgendlich zur Nach-Party Einlass findet. Und irgendwann muss Baader selber draußen bleiben.


Das Unglück beginnt im Sommer 87, als er nach zwei Jahrzehnten Moderierens eine Auszeit nimmt. Die Ruhe währt nicht lang. Die Steuerfahndung wird im Queen's Pub fündig, Und Baader, der immer aus dem Vollen lebte, für den „Bausparen" und „Vorsorgen" Fremdworte waren, sieht sich plötzlich mit Forderungen in fünfstelliger Höhe konfrontiert, Bald ist er sein Auto an den Fiskus los. Ein Ärgernis für einen Mann, der Sport - und dazu gehörige Gehen - aus ganzem Herzen hasst. Doch das Genick bricht ihm ein anderer, sein Vermieter, der Handwerksmeister Winfried Geishecker. 15 Jahre pünktliche Monatszahlungen sind für Geishecker Ende 91 vergessen. Kurz vor Weihnachten, dem Fest der himmlischen Liebe, setzt er Baader auf die Straße. Wegen Mietrückständen in Höhe von 1055 Mark und 54 Pfennigen. Die einbehaltene Plattensammlung (geschätzter Wert: 60.000 Mark) verhökert Geishecker für 4300 Mark - Berufsverbot durch Enteignung. Baader ist jetzt ohne Auto, ohne Wohnung, ohne Platten. Und ohne Zukunft. Zehrt er halt von der Vergangenheit.


Die bietet reichlich Stoff für lange Kneipenabende, in denen zwischen schillernden Erzählungen und haarstreubenden Anekdoten die Trauer um den verlorenen Beruf immer wieder durchschimmert. Und schließlich darf er es ihnen allen dann doch noch einmal zeigen. Bei der "Rocky Horror Nacht" im Stadtheater. Sein Körper läuft schon lange im Grenzbereich; die Zuckerwerte sind rekordverdächtig, zwei Herzattacken hat er gerade überlebt, Doch davon ist in jener magischen Nacht vom 19. auf den 20. April 97 nichts zu süren. Der Mann hinter dem Mikro ist wie ausgewechselt, seine Sätze sprühen Funken, seine Bonmots zünden sekundengenau. Und hinterher gehen jene, die dabei sein durften, mit dem Gefühl nach Hause, einen ganz besonderen Abend erlebt zu haben. Für manche war es die erste Begegnung mit Triers Ausnahme-DJ, für alle die letzte. Eric Baader stirbt am 17. Februar 2000, und wenn es im Himmel eine Disko gibt, wird er dort jetzt sicher auflegen.

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