DER VERBÜNDETE DER NACHTSCHWÄRMER
08. Juli 2021 von Frank Jöricke (Trierischer Volksfreund)
Am 17. Februar 2000 starb der legendäre Diskjockey Eric Baader. Freunde starteten eine Spendenaktion, und dank Organisator Bruno Meyer aus Mesenich konnte ein Jahr später ein Grabstein in Form einer Schallplatte auf dem Trierer Hauptfriedhof aufgestellt werden. Diese LP-Grabplatte wurde jetzt entfernt. Eine Gelegenheit, an einen Mann zu erinnern, der in Diskotheken wie dem Natascha (Trier), Castel (Bitburg) und Queen’s Pub (Hermeskeil) Tausende von Menschen glücklich gemacht hat. Der folgende Text erschien erstmals vor 25 Jahren im Trierischen Volksfreund.
Es ist 1968. In der Bundesrepublik brodelt es. Ein gewisser Andreas Baader steckt in Frankfurt ein Kaufhaus in Brand. Auch sein Vetter Erich Theodor, kurz: Eric, schlägt über die Stränge. Er reibt eine Drei-Zentner-Sau mit Schuhwichse ein und treibt sie durch eine Frankfurter Hauptverkehrsstraße, bis sie in der Auslage eines Porzellangeschäfts zum Halt kommt. Das ist sein Beitrag zur 68er-Bewegung. Der Mann, der von sich selbst behauptet, „Franz-Josef Strauß steht links von mir“, ist anarchischer als viele, die mit diesem Etikett hausieren gehen. „Moral ist halt, wenn man doch tut, was man will.“
Es ist 1969. Es gibt noch keine Revivals. Alles ist neu. Mondlandung, Ostpolitik, Diskotheken. Die Bundesliga hat ihren Bestechungsskandal noch vor sich, als der Buchbinder Eric Baader von Handwerk auf Mundwerk umsattelt. Fortan sagt er nachmittags Grabowski und Hölzenbein an und abends James Brown und Velvet Underground. Stadion und Disco – beide verlangen einen Entertainer mit sonorer Stimme. Die hat der Kettenraucher Eric Baader. In manchen Nächten sind es vier Packungen, die er wegdrückt oder besser: die im Ascher verglühen. Denn zwischen Ansage und Plattenwechsel bleibt nicht viel Zeit zur Zigarettenpause. Zumal das Publikum den ganzen DJ fordert. Hier ein Plattenwunsch, dort ein Schwätzchen, ein paar aufbauende Worte, ein Schwank aus dem Leben, eine Anekdote über die Band, deren Lied gleich läuft, manchmal ein Flirt, denn auch ein Diskjockey ist schließlich nur ein Mensch. Und ein Mann. Eric Baader spielt gern den Chauvinisten alter Schule. Seine Sprüche kloppen präzis unter die Gürtellinie. Bemerkungen vom Kaliber „Die Axt im Haus ersetzt den Scheidungsanwalt“ lassen auf einen Frauenhasser schließen. Dabei ist Baader das Gegenteil. Derselbe Mann, der übers Mikro derbste „Frau Wirtin“-Witze unters Discovolk streut, ist privat ein Knigge-Anhänger mit Tanzschulmanieren. Gewalt lehnt der Frankfurter Twist-Meister von 1962 ab. Die aber gibt es in der Szene zuhauf. Huren werden auf dem Tanzparkett vermöbelt, Zuhälter schmeißen ihm bei Razzien Schießeisen hinters DJ-Pult. Wenn einem so viel Gutes wird beschert… „Ich hatte nur zwei Möglichkeiten: im Milieu zu landen oder aus Frankfurt wegzugehen.“ So landet der Coca-Cola-Süchtige Eric Baader in der Asbach-Uralt-Stadt Rüdesheim.
Es ist 1971. Während der Südfrüchtehändler Horst Gregorio Canellas den Bundesligaskandal ins Rollen bringt, ist der Diskjockey Eric Baader missionarisch in Sachen Hard Rock und Black Music unterwegs. Rüdesheim ist der Auftakt zu einer Tour durch 86 Städte und Diskotheken. Von Oberstdorf bis Münster. Jeden Monat ein anderes Hotel. „Einsamkeit hat viele Namen“, singt Christian Anders – und kann Eric Baader damit nicht gemeint haben. Denn der ist internatsgestählt – „ich fing an Musik zu hören, weil ich zu sehr allein war“ – und nun in seinem Element. „In die Disco zu gehen, war damals etwas Besonderes.“ Für Schüler und Lehrlinge oft die einzige Alternative zu Fernsehabenden im familiären Kreis. Nie wieder „Einer wird gewinnen“ und „Der goldene Schuß“. Die Disco als Ort des Versprechens. Und der große Zampano, das ist der Diskjockey, der im schlechtesten Fall nur Platten auflegt und im besten Fall Eric Baader heißt. Der nämlich moderiert die Songs, nimmt schüchternen Frischverliebten die Angst vorm Blues, legt in einer Kurhoteldisco an Heiligabend „Sex machine“ auf und macht so noch den schlaffsten Tanztee zum Event.
Es ist 1980. Eric Baader ist in Trier sesshaft geworden. Natürlich wegen einer Frau. Und eigentlich gibt es das nicht: einen sesshaften Diskjockey. Zumindest nicht für die Finanzämter. Die kennen nur „Aushilfen“, also Leute, für die der Arbeitgeber keine Sozialabgaben zahlt. Das hat nichts mit Musik zu tun, aber viel mit dem deutschen Steuersystem. Kaum ein Diskothekenbesitzer stellt einen DJ auf Dauer ein. Wenigstens nicht offiziell. Also arbeitet Eric schwarz. 1987 fliegt der Schwindel auf. Eric kann einpacken. Der Ruin. Eigentlich könnte er jetzt aus Trier fortgehen, sein DJ-Vagabundenleben wieder aufnehmen. Aber sein Auto ist gepfändet.
Es ist 1996. Immer mal wieder trifft Eric Discogäste von früher. Manche, die damals ihren ersten Zungenkuss wagten, während er den passenden Soundtrack dazu lieferte, haben heute die Scheidung hinter sich. So wird der Diskjockey zur verklärten Jugenderinnerung. Der Freund und Helfer in Teenagernöten ist seiner Fangemeinde sicher, auch wenn diese längst nicht mehr tanzt. Und trotzdem: „Ich würde gern wieder Platten auflegen. Es ist doch schließlich mein Beruf.“